Petrus meinte es gut, als am Samstagvormittag des 21.10.2023 ca. 20 Teilnehmer zur mittlerweile schon 4. Flurwanderung rund um die Ortschaft Fraßdorf vom Treffpunkt hinter dem Dorfgemeinschaftshaus aufbrachen.
Das Wetter paßte. Denn nach tagelangem Regen – den wir natürlich auch sehr nötig brauchen – zeigten sich endlich wieder ein paar Sonnenstrahlen und es gab angenehme spätherbstliche 18 Grad Celsius – also bestes Wanderwetter!
Initiator und Moderator dieser Veranstaltung war auch an diesem Tag wieder Herr Ortschafts-rat Günther Fischer, der sich, wie sich auch bei dieser Wanderung herausstellte, wieder gut auf diesen Exkurs vorbereitet hatte.
Zunächst ging es aus Fraßdorf in östliche Richtung zum „Fischteich“.
Wieso eigentlich Fischteich…? Hier ist doch weder ein Teich, geschweige denn noch etwas von Fischen zu sehen.
Herr Fischer klärte uns auf, dass sich an dieser Stelle der tiefste Punkt am Ortsrand von Fraßdorf befindet und dort früher mehrere kleine Gewässer vorhanden waren.
Wasser war auch schon damals ein wichtiger Rohstoff.
Um die Trinkwasserversorgung in Dessau sicherzustellen, wurde um 1950 zentral beschlossen, um Fraßdorf herum an den Ecken und Rändern der Ackerflächen zahlreiche Brunnen zu bohren. Täglich wurden von dort ca. 20.000 qm Grundwasser nach Dessau gepumpt, um dort die Qualität des damals noch aus dem Uferfiltrat der Mulde entnommenen Wassers zu verbessern und es für die Trinkwasserversorgung nutzbar zu machen.
Somit sank auch der Grundwasserspiegel in und um Fraßdorf mit den Jahren rapide ab.
Herr Fischer: „Nachdem der Fischteich ausgetrocknet war, planten Fraßdorfs Einwohner an dessen Stelle eine Badeanstalt zu errichten. Im NAW (Nationales Aufbauwerk) wurde das Becken ausgegraben und auch schon Betonelemente herangefahren. Aber alles Bemühen, aus dem nahen Wasserwerk für dieses Bad Wasser zu bekommen, scheiterten. Daraufhin wurde das Loch dann wieder verfüllt.“
Am Rande der Fischteichwiese steht „noch“ eine uralte prächtige Eiche, deren Zeit leider zu Ende geht. Sie ist trocken gefallen. Die letzten heißen Sommer haben leider dafür gesorgt, daß nicht ein einziges grünes Blatt mehr sprießen kann. Der Umfang von fast 4 Meter (es wurde extra das Maßband angelegt) deutet darauf hin, daß diese Eiche mindestens 400 Jahre auf dem Buckel haben muß. Und nun ist sie nur noch ein trockenes Baumgerüst und es naht ihr Ende!!!
Niemand ahnte, warum uns Herr Fischer dann am Fischteich an mehrere in Kreisform angeordnete alte und offensichtlich von Menschenhand angepflanzte Eichen führte.
Dieser Ort könnte möglicherweise als Treff- oder Sammelpunkt, oder auch schon frühzeitig als Kultstelle am Rande des damaligen Dorfes gedient haben.
Als nächste Station erreichte die Exkursion den Wegweiser von Fraßdorf nach Quellendorf am ehemaligen Wasserwerk. Warum damals dieser, und auch weitere baugleiche Wegweiser – wie z.B. auch am Ortseingang von Meilendorf – aufgestellt wurden, konnte bisher nicht zweifelsfrei geklärt werden.
Vermutlich gab es damals an diesen Orten Kreuzwege zwischen den Ortslagen Hinsdorf, Zehmigkau, Fraßdorf und Quellendorf.
An der Schreibweise auf dem Meilenstein ist jedenfalls zu erkennen, daß diese Steine nach 1838 errichtet wurden. Um diese Zeit wurde die Schreibweise „Qualendorf“ zu „Quellendorf“ verändert.
Von diesem Punkt aus ging es am Rande des Feldes weiter in Richtung Quellendorf bis zur Jesurbrücke zu dem links neben der Straße aufgestellten Meilenstein.
Warum sind auf dem Stein zwei Meilen bis nach Dessau eingraviert?
Günther Fischer klärt auf: „Die zwei Meilen bis Dessau entsprechen nach den damaligen Entfernungsberechnungen heute genau 15064 Meter (eine anhaltische Meile = 7532 heutige Meter). Messpunkt war zu dieser Zeit der heutige Standort des Denkmals des Fürsten Franz von Anhalt vor der Marienkirche in der Johannisstraße im Zentrum von Dessau. Diese Steine wurden im Auftrag des Fürsten um 1850 aufgestellt.“
Von dort aus ging es dann zum Lärchenbusch, wo wir uns vom tiefen Stand des Grundwassers an einem eingegrabenen Faß überzeugen konnten. Fraßdorfer Wildpfleger legten diese Stelle um 1995 als Tränke für Rehe und Wildschweine an.
Danach ging es dann zur Etzdorfer Trift und wieder zurück zum Dorfgemeinschaftshaus.
Zwischendurch wurden noch Sträucher und Bäume bestimmt, was Einigen schwer fiel.
Am Dorfgemeinschftshaus erwarteten uns dann Matthias und Christoph mit einer sehr leckeren Nudelsuppe.
Unser aller Dank gilt Herrn Ortschaftrat Fischer für die Vorbereitung und Führung entlang der Gemarkungsgrenzen der Flur Fraßdorf sowie auch Herrn Matthias Weigt und Herrn Christoph Blumstein für die liebevolle Zubereitung einer extragroßen Portion Gemüse – Nudelsuppe, die wir an diesem sonnigen spätherbstlichen Tag genießen durften.
Am 09.09.2023 fand auf dem Grundstück der Familie Günther Fischer ein „Fraßdorfer Erntekranz“ statt.
alles ist soweit fertig vorbereitet – Samstag früh noch einige Blümchen auf die Tische – und dann können die Besucher kommen
Schon im Eingangsbereich begrüßte die zahlreichen Besucher ganz passend zum Erntefest ein liebevoll dekorierter Erntewagen mit der Erntekrone und ein Schild mit einem „Herzlichen Willkommen“ darauf.
Die Sonne schien fast etwas zu intensiv für September. Aber tags zuvor wurde neben vielen Sitzgelegenheiten auch ein schattenspendendes Zelt und einige Sonnenschirme von den Organisatoren mit aufgebaut, so daß die Besucher es gut aushalten konnten. Und eine gute und ausreichende Getränkeversorgung war an diesem warmen Tag durch den Ortsbürgermeister mit seinen Helfern abgesichert worden.
der Hofeigentümer begrüßt die recht zahlreich erschienen Besucher
Herr Fischer eröffnete die Veranstaltung und erläuterte die Abläufe des täglichen landwirtschaftlichen Lebens auf einem Bauernhof vor ca. 100 Jahren von der Aussaat bis zur Verarbeitung des Saatgutes.
die verschiedenen Getreidearten stehen zum Anschauen bereit
eine Sense wird gedengelt – heißt scharf gemacht, damit die Getreidehalme gut abgemäht werden können
Zu Anfang wurde den Besuchern der Umgang mit der Sense und auch das „Dengeln“ einer Sense erläutert und vorgeführt. Kaum einer kann das noch selbst machen, was früher auf jedem Gehöft gang und gäbe war.
alle gebundenen Getreidegarben werden zu Puppen oder Staucken (9 Garben) oder Mandeln (12 Garben) zum Trocknen auf dem Feld aufgestellt
Nach dem Absensen wurden die Getreidehalme von Frauen zusammengerafft und geordnet gebündelt, dann zu Puppen, Staucken, Mandeln aufgestellt und nach dem Abtrocknen eingefahren und mit Dreschflegeln ausgedroschen.
aus den Getreidebündeln werden die Körner mit dem Dreschfleger ausgedroschen
die ausgeschlagenen Körner werden zusammengefegt und eingesackt
Wie alle Besucher eindrucksvoll sehen und auch selbst ausprobieren konnten, war dies – neben den vielen weiteren Tätigkeiten in der damaligen Landwirtschaft – eine sehr anstrengende und kräftezehrende Arbeit.
die Windfege trennt das Korn von der Spreu
dann wird das Korn eingesackt und kann gewogen werden
die Kinder verfolgen den Arbeitsablauf aufmerksam
auch beim Strohhächseln sind die Kinder aufmerksame Zuschauer
Schließlich wurde dann in der sogenannten „Windfege“ die Spreu vom Weizen getrennt und das Erntegut in Säcke abgefüllt und gewogen. Es konnte danach in der Mühle geschrotet für Futterzwecke oder zu Mehl für den Bäcker zum Brot backen verarbeitet werden.
Die verbliebenen ausgedroschenen Strohbündel wurden mit der Hächselmaschine klein gehächselt und konnten für das Viehfutter mitgenutzt werden.
Jeder, der wollte, konnte sich auch mal an den Gerätschaften ausprobieren, was dann auch für etwas Spaß sorgte.
Herr Fischer nahm sich nach den Vorführungen noch die Zeit mit kleinen Gruppen in seinem liebevoll restaurierten Museum Utensilien des täglichen Gebrauchs auf einem Bauernhof zu zeigen und zu erläutern.
Das Schweineschlachten war früher in der Winterzeit auf jedem Bauernhof Tradition – hier einige Dinge, die dafür gebraucht wurden.
Gerätschaften für den Anbau und die Ernte der Kartoffeln
der alte Trecker war besonders für die Kleinsten interessant – sie wollten gar nicht mehr absteigen
Pünktlich zur Mittagszeit erschien Matthias Weigt mit dem schon seit den frühen Morgenstunden zubereiteten Wildschweinbraten, den sich dann alle Gäste genüsslich schmecken lassen konnten.
Mehr als 80 Portionen an Wildschweinbraten wurden von Matthias ausgeschenkt.
Unser Dank gilt der Familie Fischer und allen fleißigen Helfern, welche diese Veranstaltung – die von allen Besuchern als sehr gelungen und interessant bewertet wurde – erst möglich machten.
einer der 4 Trupps, die um Fraßdorf den Müll einsammelten
Dreiundzwanzig fleißige Helfer trafen sich am 11.03.2023 vormittags am Fischteich und machten sich von da aus in vier Teams aufgeteilt und begleitet von Schneeregen in alle Himmelsrichtungen auf den Weg.
Wieder einmal galt es die Umgebung von Fraßdorf von achtlos weggeworfenen Müll zu befreien. Und auch dieses mal hat es wieder gelohnt! LEIDER!!!
Neben einem Flachbildschirm, Teppichresten, einem Autoreifen, fanden die Sammler wieder Unmengen an Kaffeebechern und vor allem aber auch viele Glasflaschen. Diese könnten schnell zur Gefahr für Tiere werden oder bei ungünstiger Sonneneinstrahlung einen Brand verursachen.
Nachdem ca. 20 Müllsäcke abgefüllt worden waren, fand der Einsatz dann bei einem gemütlichen Beisammensein mit einer von Matthias und Christoph gekochten Soljanka seinen Abschluß.
Allen freiwilligen Helfern sei hiermit recht herzlich gedankt!
Schon von einigen seit längerem erwartet, lud Günther Fischer am 16. Oktober 2022 wieder zu einer Flurwanderung ein. Wo es hingehen sollte, wurde erst am Sonntag früh als kleine Überraschung bekannt gegeben.
Gestartet wurde der Fußmarsch wieder um 9:30 Uhr am Dorfgemeinschaftshaus mit einigen Ausführungen zur Historie der Domäne.
Bei bestem Wanderwetter führte Günther Fischer die Gruppe von knapp 20 Interessierten diesmal Richtung Westen.
Es ging vorbei am Haus der Familie Venediger mit Erklärungen zu der dort ehemals gestandenen „Käsevilla“ weiter Richtung „Kreuzweg“ – gelegen an der Kurve der Straße nach Meilendorf.
Von dort wanderten wir entlang des ehemaligen „Langen Weges“ zur Straße von Meilendorf nach Zehmigkau. Hier wurden Erläuterungen zum „Tälchen“ und zur Lage von Zehmigkau auf einer kleinen Anhöhe gegeben. Auch entsprang vor der Ortslage Zehmigkau ein ehemals existierender Graben, welcher dann Richtung Fraßdorf durch die „Rüster“ zum „Schwemmegraben“ die Äcker entwässerte.
Von der kleinen Anhöhe an der Meilendorf-Zehmigkauer Straße ging es dann Richtung Westen zur wüst gefallenen Dorfstätte „Karsteinick“, welche südlich des Zehmigkauer Bruches mittig eines heute 100 ha großen Feldes lag. Es galt 1329 noch als besetztes Dorf. Urnenfunde belegen die einstige Existenz dieses Dorfes.
Weiter ging die Wanderung zum Westende des Zehmigkauer Bruches, wo gerade Räumungsarbeiten an Teichen und Gräben durchgeführt werden, die als sogenannte Ausgleichsfläche für die neue Bundesstraße B6n als Rückzugsort für diverse Kröten und andere Tiere wirken sollen. Wir besuchten auch den „Bruchteich“, wo viele Erinnerungen am Badespaß aus vergangenen Zeiten zum Besten gegeben wurden.
Durch die Ortslage Zehmigkau wanderten wir dann zurück nach Fraßdorf.
Hier gab es noch Erläuterungen zur Obstplantage mit Obstdarre der ehemaligen Domäne, sowie zur „Rüster“.
Am Dorfgemeinschaftshaus angekommen, konnte sich dann jeder mit einer deftigen Erbsensuppe und einem guten Bier stärken.
Dem Chefkoch Matthias Weigt und seinen Helfern, die für diesen guten Mittagsservice gesorgt haben, gilt ein ganz besonderes Dankeschön!
Viele Fraßdorfer/Innen hatten angefragt und auf Grund der immer noch andauernden Pandemielage gebangt, ob es wohl im Frühling 2022 wieder ein traditionelles Osterfeuer in Fraßdorf geben wird.
Mit großer Freude erreichte uns die erhoffte Nachricht über eine Zusage und Genehmigung durch die Stadt Südliches Anhalt.
Bei strahlenden Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen von fast 20 Grad Celsius fanden sich am 16.04.2022 fast 70 Fraßdorfer/Innen und Gäste auf dem Brennplatz ein um am lodernden Osterfeuer teilzunehmen.
Kinder aller Altersklassen hatten nach dem sprichwörtlichen Startschuss durch den Dorfklubvorsitzenden Holger Heinrich beim traditionellen Ostereier- und Süßigkeitensuchen sichtlich sehr viel Spaß und zeigten dann auch Allen stolz ihre gefundenen Schätze.
Aber auch die Erwachsenen freuten sich endlich mal wieder ohne Auflagen unter freien Himmel treffen zu dürfen um sich über sämtliche Neuigkeiten in und um Fraßdorf auszutauschen.
Ein besonderer Dank geht an die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr für ihre vorbildliche Einsatzbereitschaft. Sie sorgten wie schon in den vergangenen Jahren auch bis in die späten Abendstunden für einen sicheren und kontrollierten Abbrand des Osterfeuers.
romantische Abendstimmung – festgehalten nach dem Osterfeuer
Die Gaststätte Both von Heinz Menzel als Zeichnung festgehalten
Unser Dorf, so klein es auch ist – es schwankte immer zwischen 200 und 300 Einwohner – hatte aber doch 3 Gaststätten aufzuweisen.
Es gab vor und nach dem Krieg die Gastwirtschaften von Franz HARTGE, Karl RÖßLER und die Gaststätte mit Kolonialwarenhandel Paul BOTH.
Wann sie genau entstanden sind, wird wohl nicht genau festzustellen sein. Einzig bei der Gaststätte Both, auf diesem Grundstück wohnte vor 1900 ein Schneidermeister, der anfing Bier auszuschenken.
Später übernahm Karl STEINBRECHER das Grundstück. Er machte eine Restauration (Gaststube mit Saal) und daneben einen kleinen Laden mit Kolonialwaren auf. Sein Name ist in einer Aufstellung von Personen erwähnt, die in Fraßdorf gewohnt haben. 1908/1912 ist ein Karl Steinbrecher als Restaurateur namentlich festgehalten worden.
In einer Aufstellung von Amtsbezirken aus dem Jahr 1879 ist ein 7. Amtsbezirk genannt, der u.a. die Gemeinde Fraßdorf mit Herzöglicher Landes-Domäne erwähnt. Hier ist als Gastwirt Rößler Carl genannt. Sein Nachfolger war Max Rößler, geb. 1874 und danach dann Karl Rößler, geb. 1901.
Als Restaurateure und Materialwarenhändler sind hier die Herren Friedrich Hoppe – Friedrich Kreuzmann aufgeführt. Sie könnten vlt. die Vorgänger von Karl Steinbrecher gewesen sein.
Im Jahr 1925 hat PAUL BOTH das Anwesen übernommen. Seitdem war es die „Restauration und Kolonialwarenhandel Both“. Er und seine Frau Lina (geb. Streuber aus Klein Weißandt) hatten dazu auch die Poststelle inne und sie trugen täglich die Briefe und Pakete aus.
Die Restauration Paul Both um 1930 war Gasthaus, Kaufladen und Poststelle.
1961 ging die Gastwirtschaft dann an den Sohn Heinz BOTH über, der sie bis zu ihrer endgültigen Schließung im Jahr 1991 bewirtschaftete. Sie war die dominierende Gastwirtschaft im Dorf.
Der kleine Kolonialwarenladen, in dem es damals von Bonbons, Mehl, Zucker, Milch usw., aber auch Farben, Pinsel, Farbwalzen, Nägel, Schrauben, Kuhketten und andere Kleinartikel gab, war schon 1978 geschlossen worden.
Hier steht Heinz Both in seinem Kolonialwarenladen. Alles ist gut und übersichtlich angeodnet
Auf diesem Foto ist zu erkennen, daß der Kolonialwarenladen schon zu einem Wohnraum umgebaut worden ist. Der Eingangsbereich wurde geschlossen und ein neues Fenster eingesetzt.
Dieses Schild hing über der Eingangstür zur Gaststätte und war abends beleuchtetEtwa 1975/80 – Der Gastwirt Heinz Both sitzt mitten unter seinen Gästen. Reiner Pohle, Reiner Swintek, Hans Wagner, Ernst Thau, Achim Schulze und Werner Mölle (von li nach re)
Schon zuvor war die Poststelle neu eingerichtet worden im ehemaligen Umspannwerk am Dorfteich. Hier war dann Frau Kusier viele Jahre die Postfrau für Fraßdorf und sie wußte schon beim Überreichen der Postkarte die Nachricht mündlich zu übermitteln.
Im zu Boths Gaststätte dazu gehörenden Saal, der bereits 1892 gebaut worden war, gab es über die Jahre verschiedentliche Tanzveranstaltungen, wie Maskenball, Ringreiterball, Feuerwehrball, Ernteball der LPG usw.
Einladung zum Tanz in Boths Gaststätte
Die Männer waren immer schon recht zeitig vor Tanzbeginn da, um einen Tisch freizuhalten. Wenn ihre Angetrauten zum offiziellen Einlaß erschienen, waren die Herren der Schöpfung oft schon gut angeschickert, denn man konnte ja nicht trocken da so rumsitzen und warten.
Und zu späterer Stunde dann gab es immer als kleine Zwischenmahlzeit Bockwürstchen mit Brötchen.
Viele Anekdoten werden noch heute von diesen Ausgeh-Abenden erzählt.
Wie schon oben erwähnt – gab es noch die Wirtschaften von Franz HARTGE und Karl RÖßLER (geb. 1901), dem Nachfolger von Max Rößler (geb. 1874).
Rößlers Wirtschaft befand sich an der Ecke des Dorfplatzes, dem früheren Bäckerplatz und Handwerkerviertel und bestand nur aus einer kleinen Gaststube mit drei Tischen und einem Billard. Karl Rößler war hauptsächlich Bauer mit ca. 18 ha Fläche.
Auf dem Bäckerplatz – Die Bauernwirtschaft und Restauration Karl Rößler. Der Bäckerplatz war das handwerkliche Zentrum Fraßdorfs. Hier waren außer des Bauern und Gastwirts Rößler auch der Schuster, die Gärtnerei, Bäckerei, Stellmacherei und die Schmiede ansässig.
An der Hausecke der Wirtschaft war damals eine Sonnenuhr angebracht, die bei Abriß des Gaststättengebäudeteils von Roswitha Schulze gerettet und gut verwahrt wurde. Diese Sonnenuhr konnte nach einer Überarbeitung durch unseren Schmiedemeister Gerald Paetzel zur 750-Jahrfeier von Fraßdorf dann an Rößlers Wohnhaus, in dem nun inzwischen Familie Wieser wohnt, gut sichtbar wieder angebracht werden. (siehe auch Artikel vom 14. August 2016)
Viele Jahre fristete die Sonnenuhr ein vergessenes Dasein in einer Scheune bei Schulzes, aber dort war sie gut aufgehoben, um nun zum 750jährigen Fest wieder an die Öffentlichkeit zu kommen.
Schnell ist die Sonnenuhr wieder angebracht. Da die Sonne scheint, kann sie auch eingerichtet werden,
Und begossen werden muß dieser historische Akt natürlich auch
Schön sieht sie wieder aus, oder?
Die Gaststätte von FRANZ HARTGE befand sich in der Mitte der Gasse (heute die Etzdorfer Straße) und hatte nebenbei auch einen kleinen Lebensmittelladen. Freitags gab es hier immer frische Hausschlachtewurst…
Jede der 3 Gaststätten wurde von einer anderen Brauerei beliefert.
Both wurde beliefert von der „Schade-Brauerei“ Dessau, Hartge bezog „ABC-Bier“ (Aktien Brauerei Cöthen) und Karl Rößler schenkte Dessauer „Schultheiss-Patzendorfer“ aus.
Die beiden Kneipen von Hartge und Rößler bestanden wohl bis Ende der 1960iger Jahre.
Im Jahr 1991 ist dann die Gaststätte von Heinz Both geschlossen worden, als der Besitzer Rentner wurde. Alle Männer des Dorfes begleiteten ihren „Kneiper Heinz Both“ in den wohlverdienten Ruhestand mit einem letztmalig ausgeschenkten Bier, aber auch mit einem weinenden Auge der Männer.
Einer der letzten Gäste hatte sich ein Andenken von Heinz Both abstempeln lassenAlle Gäste sind zum letzten Bierausschank erschienen und haben ein letztes Bier mit ihrem „Kneiper Heinz Both“ getrunken
In den Jahren nach der Schließung der Gastwirtschaft wurden dann bauliche Veränderungen vorgenommen. Die Gaststube wurde zu Wohnraum umgebaut und der Saal wurde 2007 abgerissen, so daß die frei gewordene Südseite des Hauses für eine Außenterasse hergerichtet werden konnte
Danach gab es nochmals eine Gaststätte (von ca. 1991 bis etwa 1998?) auf der Domäne in dem ehemaligen Ochsenstall, der schon in den 1960iger Jahren als Kulturraum für die Dorfbewohner umgebaut worden war und heute immer noch als Veranstaltungssaal im Dorfgemeinschaftshaus fungiert.
Ein reges Jugendleben entwickelte sich in Fraßdorf in den 1950iger Jahren. Gab es doch damals noch keinen Fernseher, kein Handy oder Computer.
Es bestand auch besonders nach dem Krieg großes Interesse wieder gemeinschaftlich etwas zu erleben.
Um 1954/55 gründete die damalige FDJ-Gruppe eine Schalmeienkapelle unter der Leitung von Lehrer Kurt Neubert. Sie hatte viele Jahre Bestand und es erneuerten sich die Instrumentalisten doch stets nach Ausscheiden weggezogener Jugendlicher.
die Schalmeienkapelle um 1962
Eine Wiederauferstehung erfuhr die Schalmeienkapelle zum 750jährigen Jubiläum Fraßdorfs 2016.
Aber gehen wir gedanklich wieder zurück zu den 1950/60 Jahren.
Zu einer der besten Grundeinheiten der FDJ des Kreises Köthen gehörte Fraßdorf. Mit Freude und Frohsinn sind die Jugendlichen dabei, die VI Weltfestspiele vorzubereiten. Im Januar waren es 9 Veranstaltungen, die die Freunde in Fraßdorf durchführten.
Am 17. Januar 1957 war Volkstanzprobe zur Vorbereitung auf das Treffen zum Ausscheid aller Volkstranzgruppen am 23./24. Februar; am 18. Januar probte der Chor, am 23. Januar erschienen zur Mitgliederversammlung 27 (!) Freunde.
Es vergeht keine Woche , wo die Jugendfreunde nicht zusammen kommen.
Neben vielen Veranstaltungen im Jugendraum war es besonders auch die Volkstanzgruppe, die von sich Reden machte.
Vier Paare bildete hier die Volkstanzgruppe: vlnr. Horst Schieche, Ursel Niklowitz, Ernst Thaun, Marianne Voigt, Helmut Uhlig, Karin Schwuchow, Joachim Schulze, Ingrid Knapp… es gab aber noch mehr Mitglieder in der Tanzgruppe, wie Karin Lässig, Wolfgang Schulze und Günter Mohr…
Einen schönen Erfolg konnte da die Volkstanzgruppe erringen. Sie konnte den 1. Platz beim Wettbewerb der Landgruppen erreichten und durfte dann zur Bezirksleistungsschau der Volkskunst nach Halle fahren.
Das wichtigste Betätigungsfeld für die Fraßdorfer Tanzgruppe aber waren die Auftritte zu Festlichkeiten in den umliegenden Dörfern. Als Beispiel sei nachfolgend ein Auftritt in Gnetsch genannt:
Nach 30 Jahren gab es 1985 ein gut vorbereitetes Wiedersehenstreffen der ehemaligen Volkstanzmitglieder. Mit eingeladen waren auch ihre inzwischen angetrauten Ehepartner. Einige angefügte Seiten entstammen einer Erinnerungs-Schmuckausgabe mit Fotos und Zeitungsausschnitten über die damaligen Aktivitäten der jugendlichen Volkstanzgruppe.
Bei einem Treffen 30 Jahre später erwärmen die alten Aufnahmen die Herzen aller ehemaligen Volkstänzer
…und sie nehmen alle noch einmal Aufstellung von links nach rechts: Wolfgang und Karin Schulze (geb. Lässig), Ursel Niklowitz, Günter Mohr, Ingrid Gräber (geb. Knapp), Karin Hoppe (geb. Schwuchow), Helmut Uhlig, Horst Schieche, Achim Schulze, Ernst ThaunZur 750 Jahr-Feier Fraßdors 2016… …ist die damalige Volkstanzgruppe natürlich auch ein Bestandteil des Festumzugs. Das damals mitgeführte Plakat ist heute im Dorfgemeinschaftshaus ausgestellt!
Diese Malerei von Hans Menzel zeigt die „Käsevilla“ oder Villa „Sick dich für“ bereits als Wohnhaus am Feldweg nach Zehmigkau
Wo heute hinter dem Dorfgemeinschaftshaus drei Garagen stehen, stand bis etwa 1970 ein großer Schafstall. (siehe auch die Ortsdraufsicht weiter unten im Text) Der letzte Schäfer war Otto Frohberg aus Meilendorf.
Bis zum Jahr 1870 etwa stand im dahinter liegendem Schäfergarten das alte Käsehaus. Damals war die Domäne noch selbständiger Gutsbezirk und hatte seine eigene Käserei. In diesem Gebäude reifte der hergestellte Käse.
Mit Enstehen der Molkerei in Quellendorf etwa um 1901 wurde dann die Milchverarbeitung auf den Höfen weitestgehend eingestellt. Butter, Quark, Käse wurden ab da in der Molkerei zentral hergestellt und vermarktet. Somit wurde dann das Käsehaus überflüssig.
Ortsdraufsicht von Fraßdorf um 1938 -Mit IV ist die Villa „Sick dich für“ auf der Karte markiert; auch die Akazien sind mit 4 Punkten eingezeichnet worden
Aber bereits zuvor wurde dieses Käsehaus abgetragen und am damaligen Feldweg nach Zehmigkau (wo heute das Haus der Familie Venediger steht) als Wohnhaus wieder aufgebaut. Bis in die 1930iger Jahre war dieses Haus bewohnt, undzwar von Aufsehern und Landarbeitern der Domäne. Damals war der Standort des Hauses doch weiter vom eigentlichen Dorf entfernt gewählt worden, so daß es eine Einzelstellung hatte. Die auf dem Bild sichtbaren breiten Akazienbäume spendeten reichlich Schatten und machten es zu einer angenehmen Wohnstätte. Oft müssen diese Akazien in der Dämmerung besonders düster gewirkt haben und in der Vorstellung mancher Dorfbewohner an der manchmal unbewohnten „Villa“ böse Geister heraufbeschworen haben. Ein Schornstein- und Dachstuhlbrand und andere unklar gebliebene spukhafte Dinge in diesem Häuschen haben die Meinung von der Anwesenheit von Gespenstern bestärkt, daher dann auch der Name „Villa sieck dich für“ stammt.
Erwähnenswert ist, daß das Haus in 1870/1880iger Jahren ein Aufseher namens Dürre bewohnte. Sein Sohn Wilhelm besuchte die damalige zweiklassige Dorfschule mit Erfolg und konnte seiner Fähigkeiten wegen als Schulhelfer dem oft erkrankten und von 1877 bis 1882 hier amtierenden Lehrer Friedrich Vettmer zur Seite stehen. Von unserer Dorfschule aus kam Wilhelm Dürre zum Landesseminar nach Köthen. Später machte er sich als Chordirektor in Dessau einen Namen.
Nach dem Aufseher Dürre hat noch fast vier Jahrzehnte der tüchtige Hofmeister Behrendt die segensreiche Arbeit auf seinem Posten für die Domäne geleistet und in der „Villa“ gewohnt
Die Aufnahme zeigt die Käsevilla um 1935 mit ihren Bewohnern Herrn Karl und Frau Wilhelmine Behrendt; Nachkommen der auf dem Bild stehnden Karl und Wilhelmine Behrend waren im Mai 2007 auf der Suche nach ihren Wurzeln in Fraßdorf bei Roßwitha Schulze, der Ortschronistin von Fraßdorf erschienen, um auf den Wegen ihrer Großeltern und Eltern zu wandeln und fertigten diese Ahnentafel an.
Um 1940 wurde dieses Haus dann im Zuge der Aufsiedlung der Domäne von einem Quellendorfer Bauunternehmen abgerissen. Die Steine und das Holz dieses doch sicher auch mehr als hundert Jahre alten Fachwerkhauses wurden wieder verwendet, was damals zum dritten mal geschah!
Roswitha Schulze
Im den Jahren 1955/56 wurde dieses Haus von Paul Venediger an dem Standort der damaligen „Käsevilla“ errichtet. Ein Sohn, Peter Venediger und seine Familie wohnt heute noch in diesem Haus
1955 baute die Familie Paul und Erika Venediger mit ihren Kindern aus Aken an dieser Stelle ein neues Haus
Da es im Dezember dieses Jahres auf Grund der immer noch andauernden Pandemie erneut nicht möglich war, eine Weihnachtsfeier für Kinder und Senioren(-innen) auszurichten brauchte es wieder fleißige kleiner und großer Weihnachtswichtel, um kleine Präsente im Dorf zu verteilen.
Alle Fraßdorfer Kinder und Senioren waren von den Weihnachtswichteln in den abendlichen Stunden mit einem kleinen Geschenk überrascht worden und haben sich gefreut –
Neu war in diesem Jahr, dass nicht nur die Seniorinnen und Senioren bedacht wurden, sondern das auch die Fraßdorfer Kinder eine kleine Aufmerksamkeit erhielten.
Und als Dank für ihre außergewöhnliche persönliche Einsatzbereitschaft bei der Neugestaltung der Außenanlage und der Sanierung des Dorf-gemeinschaftshauses wurden Herr Norman Michel und Herr Ronny Burghausen mit einem Präsent bedacht.
Ronny Burghausen erhält hier ein „Dankeschön“ für seine Einsatzbereitschaft im Dorfgemeinschaftshaus
Im Namen des Ortschaftsrates wünsche ich allen ein gesundes und hoffentlich besseres neues Jahr 2022!
Hallo, ich bin kein Fraßdorfer, war als Kind aber oft bei den Großeltern Elly (1914-1997) und Kurt (1910-1971) Hahn, Nr. 33 a. Mein Ururgroßvater Ernst Pfau hatte bis 1944 in der Nr. 33 gelebt. Ich habe für meine Enkel ein Buch geschrieben, in dem auch Fraßdorfer Erinnerungen eine Rolle spielen. Die teile ich gern. Viele Grüße nach Anhalt. Roland Hahn Jena
so sieht das Haus in der Lindenstraße gegenwärtig aus….
Auszüge aus „Ich bin Anhaltiner. Kein Anhalter“ (von Roland Hahn)
In Fraßdorf war alles etwas kleiner und anders als in Quellendorf. Meine Großeltern hatten in der Lindenstraße 33a ein Haus aus den 30ern, für das Dorf ziemlich neu. Opa Kurt war eigentlich Schuhmachermeister und wurde im Dorf der Schuster genannt. (Das S mittendrin wurde zischend ausgesprochen wie ein doppeltes S.) Ab und an machte er auch noch Schuhe, hatte auf dem Dachboden in einer Kammer neben der Räucherkammer noch eine kleine Werkstatt. Da saß er auf einem dreibeinigen Holzhocker, schnitt nach Schablonen Leder zu, stanzte Löcher und vernähte und klebte Mokassins. Die wurden nur auf Bestellung gefertigt und waren ein kleiner Nebenverdienst. Denn sonst arbeitete Opa Kurt als Dreher beim Zementanlagenbau in Dessau. Es war eine Art Ritual, ihn abends vom Dessauer Bus gegenüber der Kneipe von Boths abzuholen. Ab und an gingen mein Vater und Opa Kurt in diese Kneipe, wo ich immer zu meinem Apfelsaft kam, der in einem besonders geformten Glas gebracht wurde. Neben der Kneipe gab es auch einen Laden, wo Opa Both oder die Frau des Kneipers Heinz Both verkauften. Dort holte ich oft im Auftrag vom Opa Zigarren. Meistens eine „Zwanzig-Pfenniger“, zu besonderen Tagen auch mal eine „Vierzig-Pfenniger“.
Bis etwa Mitte der 60er gab es eine zweite Kneipe im Dorf, Hartges. Ich erinnere mich an eine wohnzimmerartige Gaststube. Neben dem Biertresen hing eine Art Sparbox mit vielen Einzelfächern, in eines steckte mein Opa manchmal ein Geldstück.
Neben Hartges Kneipe gab es einen Dorfkonsum, in dem die Mutter meines Freundes und späteren Mitschülers Bernd Elze Verkäuferin war. Später zog der Dorfkonsum in die ehemalige Bäckerei um. Diese Bäckerei fand ich als Kind besonders toll. Vom Verkaufstisch aus konnte man dem Bäcker direkt zu schauen, wie er in einer etwas tiefer gelegenen „Grube“ die Brote oder Kuchenbleche in den Ofen schob. Die Wärme des Ofens war im Winter toll, die vielen Fliegen im Sommer oder die Wespen auf den Kuchen dagegen nicht.
Die Bäckerei befand sich am Ende eines Platzes mit einem Kriegerdenkmal für die Kriege 1870/71 und 1914/18 aus einem Findling, auf dem wir gern herum kletterten. Rechts von der Bäckerei gab es einen Stellmacher und vorn an der Ecke hatte der Schmied Pätzelt seine Schmiede aus Backsteinen, mit großen Fenstern. Davor wurden Pferde mit neuen Hufeisen beschlagen. Wir Jungs schauten oft zu, wenn der Schmied das Eisen zum Glühen brachte, auf dem Amboss bearbeitete und das heiße Hufeisen unter Gezische und Gestank dem Pferd anpasste. Einmal durfte ich auch mit einem Hammer ein glühendes Stück Eisen bearbeiten, aber an das Ergebnis kann ich mich nicht erinnern. Es wird nicht toll gewesen sein.
Beim Stellmacher holte ich im Winter Hobelspäne. Herrlich, wie es in der Stellmacherei nach Holz duftete. Der Stellmacher half mir, die Späne in Säcke zu stopfen und auf den Handwagen zu laden. Zu Hause kamen die Säcke in den Schuppen, wo der Opa für die Hühner im Winter einen größeren Verschlag abgeteilt hatte. Darin wurde ab und an eine Ladung Hobelspäne verteilt, damit die Hühner nicht im eigenen „Schlamm“ versanken. Im Frühjahr, wenn die Hühner wieder den Hühnerhof nutzten, wurde die festgetrampelte Masse wieder mühselig herausgekratzt, als Dünger für den Garten.
Die Straßenecke, an der sich die Schmiede befand, entwickelte sich nach stärkerem Regen zu einem besonderen Spielplatz. Es gab ja keine Kanalisation, aber die Dorfstraße war mit kleinen Granitsteinen gepflastert. Das Regenwasser floss in der Gosse Richtung Dorfteich, an der Ecke der Schmiede war die Gosse recht breit und tief. Hier bauten wir „Staudämme“ und ließen Boote darauf fahren. Das war auf der Straße nicht weiter gefährlich, denn es gab kaum Verkehr.
Boths Kneipe in Fraßdorf war auch etwas Besonderes, denn sie hatte einen Saal für den Feuerwehrball oder das Ringreiten und es gab dann Biertische draußen mit Imbissstand (meist Bockwurst) und Tombola. Diese Ringreiten waren DAS Dorffest. Am Tag zuvor fuhren die jungen Männer in den Diesdorfer Busch zum Maienschlagen. Die Maien waren junge Birken von 3-4 Metern, die vor den Häusern als Schmuck aufgestellt wurden. Beim Maibaumschlagen wurde tüchtig gezecht und mein Vater durfte nach einem Jahr nicht mehr mit, weil es halt zu viel Bierverbrauch gegeben hatte.
Schon damals wurde Nachhaltigkeit betrieben: Die Maien wurden nach dem Fest entästet, einen kleinen Ast ließ man als kurzen Stummel an der Spitze dran. Die so entstandene Astgabel diente zum Einklemmen oder besser Stützen der Wäscheleine. Aus der Birkenstange war eine Wäschestütze geworden, damit die an Wäscheleinen quer über den Hühnerhof ausgehängte Wäsche nicht zu tief hing.
Zum Ringreiten gab es einen großen Umzug, mit der Schalmeienkapelle voran ging es durch das Dorf. Die Ringreiter bildeten eine große Gruppe und am Ende wurden auch einige Ochsen mitgetrieben. Das machte einmal besondere Freude, denn einer der größeren Jungs hatte die Ochsen getrieben, von denen einer „etwas verlor“ Und in dieses Etwas fiel der Junge, unter dem lauten Gejohle der Umstehenden.
Zurück zur Nr. 33a. Vor dem Haus stand eine große Linde, die Straße heißt nicht umsonst Lindenstraße. Neben der Linde lag ein großer Stein. Auf diesem saßen wir oft im Schatten. Und er diente mir, wenn ich als kleiner Junge mit dem Erwachsenenfahrrad von Oma oder Opa unterwegs sein wollte, als Aufsteigehilfe. Vom Stein aus hatte man das Schlafzimmer im Blick. Fasziniert hat mich im Schlafzimmer der Großeltern eine lange Strippe. Das war ein Deckenlichtschalter, der an der Decke befestigt war. Am Ende der Strippe war eine seidenbezogene Quaste angebracht, an der man ziehen konnte. Das klack klack hat die Großeltern sicher genervt, weil wir als kleine Kinder nur zu gern daran zogen. Wohn- und Schlafzimmer gingen zur Straße raus und hatten sogenannte Berliner Fenster. Das waren doppelte Fenster mit einem Zwischenraum von vielleicht 15 Zentimetern. Darin hatte meine Oma Elly ihre Alpenveilchen stehen, die somit im Winter etwas kühler standen als im warmen Wohnzimmer. Im Sommer war es in den Fensterzwischenräumen auch kühl, weil die große Linde vor dem Haus viel Schatten warf. Dann bewahrte Elly Schnittblumen in Vasen darin auf. Die bekamen jeden Tag frisches Wasser. Das machte Elly auch noch so, als sie schon um die 70 Jahre alt war. Da hatte sie einen Strauß Nelken im Fenster stehen, die sich prächtig hielten. Eine Nachbarin sagte ihr, dass das doch künstliche Blumen seien. Waren es auch, aber Oma Elly hatte das nicht erkannt und immer fleißig das Wasser gewechselt.
Einen Staubsauger gab es lange Zeit nicht, dafür eine Teppichkehrmaschine. Maschine war jedoch übertrieben. Aber ich schob den am Besenstiel befindlichen -grauen Blechkasten mit Borstenwalzen darunter mit Hingabe hin und her, bis der Teppich wirklich sauber war. Das war er eigentlich immer, denn ins Haus durfte man nur mit Hausschuhen oder Latschen.
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Eingeprägt hat sich mir die Hofeinfahrt. Hinter einem braun rot gestrichenen Torweg: so wurde das Tor genannt- war der Hof mit Gehwegplatten belegt. Einige davon waren kaputt gefahren. Ich erfuhr, dass im Frühjahr 1945 dort ein US-amerikanischer Panzer rein gefahren war, weil das Haus als Kommandantur genutzt worden war. Dazu hatte die Familie in den Keller ziehen müssen, was sich erst mit dem Abzug der Amis im Sommer 45 änderte. Diese zerfahrenen Platten waren Mitte der 60er aufgebuddelt worden, weil eine Gasleitung ins Haus gelegt wurde. Noch einmal aufgerissen wurde der Weg, als das Dorf 1974 an das Trinkwassernetz angeschlossen wurde. Das war für die Oma gar nicht so einfach, da der Opa schon 1971 gestorben war und die Sickergrube auf dem Hühnerhof das nun doch größere Abwasservolumen nicht wirklich verkraftete. Ich habe daraufhin öfter die Sickergrube entschlammt.
Mein Urgroßvater Franz Fleck aus Quellendorf, der mich leider nicht mehr erlebt hatte, war Zigarrenfabrikant gewesen. Das klingt gewaltig. In Handarbeit wurden im Familienbetrieb daheim diese Zigarren gedreht. …Meine Großeltern väterlicherseits lebten in Fraßdorf. Die verwandtschaftlichen Bande meiner Großmutter Elly Hahn, geborene Fleck, führten ins benachbarte Quellendorf zu ihrer Schwester Martha Mansfeld, geborene Fleck. Ich erinnere mich an die Fahrradtouren, die ich als Kind zuerst auf dem Kindersattel auf Großmutters Fahrrad mitmachte und später auf meinem ersten 24er Fahrrad selber „hinlegte“. Eine kleine Weltreise damals, heute ein Husch mit dem Auto über gerade einmal zwei Kilometer. Dabei führte die schon Anfang der 1960er asphaltierte Straße am verlandeten, zugeschütteten Fischteich bei Fraßdorf vorbei am Pumpenwärterhaus des Tiefbrunnens durch den Jeser nach Quellendorf. Im Pumpenwärterhaus arbeitete Großonkel Franz Mansfeld, der ziemlich zeitig verstarb. Großtante Martha hatte in ihrer handschriftlichen Rezeptesammlung ein eigenes Gedicht aufgeschrieben. „Zwischen Quellendorf und Fraßdorf, da steht ein Haus, da guckt der Franz zum Fenster raus. Und wenn er mal am falschen Knopf dreht, dann geht in Dessau das Wasser aus:“ Mich interessierte eher, dass es im Pausenraum ein Aquarium mit Makropoden gab.
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Meine Tante Gerda arbeitete Ende der 60er in Fraßdorf in der Chemischen Fabrik. Dort wurde aus einer geleeartigen Masse in einem Stranggussverfahren weißer Kohlenanzünder hergestellt. Am Ende der Strecke wurde der Strang in tafelförmige Stücke geschnitten. Die Tafeln kamen in einen Trocknungsschacht, wo sie mit Fahrstuhl hochfuhren und nach dem wieder-runter-gekommen-Sein abgepackt wurden. Es gab aber auch viel Bruch, der säckeweise billig an die Belegschaft verkauft wurde, weil er sich nicht wieder verflüssigen ließ. Gern wurde dieser zum Kohleanzünden genommen und mitunter heizte man mit etlichen, mit schwarzem Rauch und Chemiegestank verbrennenden Mengen auch mal schnell den Badeofen.
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Fernsehen. Wer weiß schon noch, dass das Fernsehen der DDR anfangs Deutscher Fernsehfunk hieß? Oder dass sich hinter dem Begriff Rundfunk die Begriffe Fernsehfunk und Hörfunk verbergen?
Meine Großeltern in Fraßdorf hatten schon Mitte der 50er einen Fernseher, schwarz-weiß und mit sehr kleinem Bild. Es hieß, dass sich im Dorf die Leute oft bei den Großeltern oder beim Schlosser Lässig zum Fernsehen trafen. Die Flimmerkiste war halt eine Sensation.
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Schwere Bombenschäden hatte es in Köthen wohl nur im Bereich des Betriebes meines Vaters, Förderanlagenbau, gegeben, weil sich dort die Motorenproduktion der Junkerswerke befunden hatte. Kriegsproduktion.
Östlich von Fraßdorf gab es mitten auf einem riesigen Feld eine Baumgruppe, wo 1945 ein amerikanischer Bomber abgeschossen und abgestürzt sein sollte. Im Ort selbst gab es auf dem Friedhof zwei Soldatengräber und mein Vater erzählte mir, dass die beiden Toten am Landgraben im Jeser gefunden worden sind.
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Kiete? So wurden im Anhaltischen Gruben genannt. In eine Schuttkiete brachte man (selbst) den Müll. Aus einer Sandkiete hingegen holte man Sand. Wie in Fraßdorf, so war das meist verbunden: Da, wo der Sand schon raus war, kippte man den Schutt rein. Also eine Art „wanderndes Loch“. Ob man für das Schuttabladen etwas bezahlen musste, ist mir nicht bekannt. Ich kann mich aber erinnern, dass für einen Handwagen voll Sand 50 Pfennige an die Gemeinde gezahlt wurden. Der Sand wurde vom Großvater Kurt Hahn genutzt, um ihn auf dem Fußweg vor dem Haus auszustreuen. Der lehmige Fußweg war ungepflastert und wurde jeden Samstag eifrig gekehrt, die Nachbarn taten es auch so und man war ja „anständig“. Verpasste man das Kehren, dann war man Dorfgespräch.